Ethik will geübt sein
Die 5 und die 14 Achtsamkeitsübungen des buddhistischen „Order of Interbeing“ bilden das ethische Fundament meines Lebens und meiner Arbeit. Es handelt sich um zwei Ausprägungen einer alltagsnahen Übungs- und Erfahrungsethik, die davon ausgeht, dass wir ethisches Handeln üben dürfen und üben müssen und dass unser bester Lehrer auf diesem Weg unsere persönliche Achtsamkeit und Bewusstheit für unsere Taten ist. Die Achtsamkeitsübungen sind keine starren Gebote und Verbote, sondern dienen uns zur ethischen Orientierung in einer komplexen Welt, in der wir uns auch dann noch liebevoll anlächeln dürfen, wenn wir wieder einmal über unsere eigenen Unvollkommenheiten oder Gewohnheiten ins Straucheln geraten sind.
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Die 14 Achtsamkeitsübungen des Order of Interbeing
Die erste Übung der Achtsamkeit: Offenheit
Im Bewusstsein des Leidens, das durch Fanatismus und Intoleranz entsteht, sind wir entschlossen, Lehrmeinungen, Theorien oder Ideologien, einschließlich der buddhistischen, nicht zu verherrlichen und uns nicht an sie zu binden. Wir sind entschlossen, buddhistische Lehren als Orientierungshilfen zu sehen, um Verstehen und Mitgefühl zu entwickeln. Sie sind keine Dogmen, für die gekämpft, getötet oder gestorben werden sollte. Wir verstehen, dass Fanatismus in seinen vielen Ausprägungen das Ergebnis einer dualistischen, diskriminierenden Sichtweise ist. Wir werden uns darin üben, alles mit Offenheit und der Einsicht des Interseins zu betrachten, um Dogmatismus und Gewalt in uns selbst und in der Welt zu transformieren.
Die zweite Übung der Achtsamkeit: Nicht‑Haften an Ansichten
Im Bewusstsein des Leidens, das durch das Festhalten an Ansichten und falschen Wahrnehmungen entsteht, sind wir entschlossen, Engstirnigkeit zu vermeiden und uns nicht an unsere gegenwärtigen Ansichten zu binden. Wir sind entschlossen, das Nicht-Festhalten an Ansichten zu lernen und zu praktizieren sowie offen für die Erfahrungen und Einsichten anderer zu sein, um von der kollektiven Weisheit zu profitieren. Wir sind uns bewusst, dass unser derzeitiges Wissen keine unveränderliche, absolute Wahrheit ist. Einsicht zeigt sich in der Praxis mitfühlenden Zuhörens, tiefen Schauens und Loslassens von Vorstellungen und nicht in der Anhäufung intellektuellen Wissens. Die Wahrheit ist im Leben selbst zu finden, und wir werden das Leben in uns und um uns herum in jedem Augenblick achtsam wahrnehmen und sind bereit, ein Leben lang zu lernen.
Die dritte Übung der Achtsamkeit: Freiheit des Denkens
Im Bewusstsein des Leidens, das entsteht, wenn wir anderen unsere Meinung aufzwingen, sind wir entschlossen, niemanden – auch nicht unsere Kinder – in irgendeiner Weise zu zwingen, unsere Meinungen anzunehmen, sei es durch Autorität, Drohung, Geld, Propaganda oder Indoktrination. Wir sind entschlossen, das Recht anderer zu respektieren, anders zu sein und selbst zu wählen, woran sie glauben und wofür sie sich entscheiden. Jedoch werden wir lernen, anderen durch liebevolles Sprechen und im mitfühlenden Dialog dabei zu helfen, Fanatismus und Engstirnigkeit loszulassen und zu transformieren.
Die vierte Übung der Achtsamkeit: Bewusstheit für das Leiden
Im Bewusstsein, dass tiefes Schauen in die Natur des Leidens uns helfen kann, Verstehen und Mitgefühl zu entwickeln, sind wir entschlossen, immer wieder zu uns selbst zurückzukehren, um mit der Energie der Achtsamkeit das Leiden zu erkennen, anzunehmen, zu umarmen und ihm zuzuhören. Wir werden unser Möglichstes tun, um nicht vor unserem Leiden davonzulaufen oder es durch Konsumieren zu verdecken, sondern werden bewusstes Atmen und Gehen praktizieren, um tief in die Wurzeln unseres Leidens zu schauen. Wir wissen, dass wir den Weg zur Transformation des Leidens nur verwirklichen können, wenn wir die Wurzeln des Leidens tief verstehen. Erst wenn wir unser eigenes Leiden verstanden haben, werden wir fähig sein, das Leiden anderer zu verstehen. Wir sind entschlossen, Wege zu finden, um mit denen zu sein, die leiden, zum Beispiel durch direkte Kontakte, durch das Telefon, durch elektronische, audiovisuelle und andere Mittel, so dass wir ihnen helfen können, ihr Leiden in Mitgefühl, Frieden und Freude zu verwandeln.
Die fünfte Übung der Achtsamkeit: Mitfühlendes, gesundes Leben
Im Bewusstsein, dass wahres Glück in Frieden, Festigkeit, Freiheit und Mitgefühl wurzelt, sind wir entschlossen, keine Reichtümer anzusammeln, während Millionen Menschen hungern und sterben, und unser Leben nicht auf Ruhm, Macht, Reichtum oder sinnliches Vergnügen auszurichten, was viel Leiden und Verzweiflung mit sich bringen kann. Wir üben uns in tiefem Schauen, um zu erkennen, wie wir unseren Körper und Geist nähren mit essbarer Nahrung, Sinneseindrücken, Willenskraft und Bewusstsein. Wir sind entschlossen, keinen Alkohol, keine Drogen oder andere Produkte zu uns zu nehmen, die unserem eigenen und dem kollektiven Körper und Bewusstsein Gifte zuführen, wie bestimmte Internetseiten, elektronische Spiele, Fernsehsendungen, Glücksspiele, Filme, Zeitschriften, Bücher und Gespräche. Wir werden so konsumieren, dass Mitgefühl, Wohlergehen und Freude in unserem Körper und Bewusstsein sowie im kollektiven Körper und Bewusstsein unserer Familien, unserer Gesellschaft und der Erde bewahrt werden.
Die sechste Übung der Achtsamkeit: Sich um Ärger kümmern
Im Bewusstsein, dass Ärger Kommunikation verhindert und Leiden hervorbringt, sind wir entschlossen, uns gut um die Energie unseres Ärgers zu kümmern, sobald sie sich zeigt, und die Samen des Ärgers, die tief in unserem Bewusstsein liegen, zu erkennen und zu transformieren. Wenn sich Ärger manifestiert, sind wir entschlossen, nichts zu tun oder zu sagen, sondern achtsames Atmen oder achtsames Gehen zu praktizieren, um den Ärger zu erkennen, zu umarmen und ihn tief zu betrachten. Wir wissen, dass die Wurzeln des Ärgers nicht außerhalb von uns liegen, sondern in unseren falschen Wahrnehmungen und unserem mangelnden Verständnis für unser eigenes Leiden und das der anderen Person. Wenn wir über Unbeständigkeit kontemplieren, werden wir fähig sein, mit den Augen des Mitgefühls auf uns und auf jene zu schauen, die wir für die Verursacher unseres Ärgers halten, und die Kostbarkeit unserer Beziehungen erkennen. Wir werden uns in Rechtem Bemühen üben, um unsere Fähigkeit des Verstehens, der Liebe, der Freude und der Unvoreingenommenheit zu nähren, um unseren Ärger, unsere Gewalttätigkeit und Angst nach und nach zu transformieren und anderen zu helfen, dasselbe zu tun.
Die siebte Übung der Achtsamkeit: Glücklich im gegenwärtigen Augenblick verweilen
Im Bewusstsein, dass Leben nur im gegenwärtigen Augenblick stattfindet, sind wir entschlossen, uns darin zu üben, jeden Augenblick unseres täglichen Lebens in tiefer Bewusstheit zu leben. Wir wollen uns nicht in Zerstreuungen verlieren und uns weder von Bedauern über die Vergangenheit und Sorgen über die Zukunft noch von Begehren, Ärger oder Eifersucht aus der Gegenwart davontragen lassen. Wir werden achtsames Atmen üben, um uns bewusst zu sein, was im Hier und Jetzt geschieht. Wir sind entschlossen, die Kunst des achtsamen Lebens zu erlernen, indem wir in jeder Situation die wunderbaren, erfrischenden und heilenden Elemente berühren, die in uns und um uns herum vorhanden sind. Auf diese Weise werden wir die Samen der Freude, des Friedens, der Liebe und des Verstehens in uns selbst kultivieren und dadurch die Arbeit der Transformation und Heilung in unserem Bewusstsein fördern. Wir sind uns bewusst, dass wahres Glück in erster Linie von unserer geistigen Haltung und nicht von äußeren Umständen abhängig ist und dass wir glücklich im gegenwärtigen Augenblick leben können, indem wir uns einfach daran erinnern, dass wir bereits mehr als genug Bedingungen haben, um glücklich zu sein.
Die achte Übung der Achtsamkeit: Wahre Gemeinschaft und Kommunikation
Im Bewusstsein, dass ein Mangel an Kommunikation stets Trennung bewirkt und Leiden hervorruft, sind wir entschlossen, mitfühlendes Zuhören und liebevolles Sprechen zu üben. Im Wissen, dass wahre Gemeinschaft in Unvoreingenommenheit und in der konkreten Praxis der Harmonie von Ansichten, Denken und Reden gründet, werden wir uns darin üben, unser Verstehen und unsere Erfahrungen mit den Mitgliedern unserer Gemeinschaft zu teilen, um zu kollektiver Einsicht zu gelangen. Wir sind entschlossen, tiefes Zuhören zu erlernen, ohne zu bewerten oder zu reagieren, und werden es unterlassen, Worte zu äußern, die Zwietracht säen oder zu einem Bruch in der Gemeinschaft führen können. Wann immer Schwierigkeiten aufkommen, werden wir in unserer Sangha bleiben und üben, tief in uns und andere zu schauen, um all die Bedingungen und Ursachen zu erkennen, die zu den Schwierigkeiten geführt haben, einschließlich unserer eigenen Gewohnheitsenergien. Wir werden die Verantwortung für unsere Anteile an dem Konflikt übernehmen und gesprächsbereit bleiben. Wir werden uns nicht als Opfer verhalten, sondern aktiv darum bemüht sein, Wege der Versöhnung zu finden und alle Konflikte zu lösen, so klein sie auch sein mögen.
Die neunte Übung der Achtsamkeit: Aufrichtiges und liebevolles Sprechen
Im Bewusstsein, dass Worte sowohl Glück als auch Leiden hervorrufen können, sind wir entschlossen, uns in ehrlicher, liebevoller und konstruktiver Rede zu üben. Wir werden nur Worte gebrauchen, die Freude, Vertrauen und Hoffnung wecken und Versöhnung und Frieden in uns und in anderen fördern. Wir werden auf eine Weise sprechen und zuhören, die uns und anderen helfen kann, Leiden zu transformieren und Auswege aus schwierigen Situationen zu finden. Wir sind entschlossen, nichts Unwahres zu sagen, weder aus Eigeninteresse noch um andere zu beeindrucken, noch Worte zu gebrauchen, die Trennung oder Hass hervorrufen können. Wir wollen das Glück und die Harmonie in unserer Sangha schützen, indem wir nicht über die Fehler anderer Personen in deren Abwesenheit reden und indem wir uns stets fragen, ob unsere Wahrnehmungen richtig sind. Wir werden allein aus der Absicht heraus sprechen, die Situation tief zu verstehen und dazu beizutragen, sie zu transformieren. Wir wollen keine Gerüchte verbreiten noch Dinge kritisieren oder beurteilen, über die wir nichts Genaues wissen. Wir werden unser Möglichstes tun, Unrecht beim Namen zu nennen, selbst dann, wenn wir dadurch in Schwierigkeiten geraten oder unsere eigene Sicherheit gefährden.
Die zehnte Übung der Achtsamkeit: Die Sangha schützen und nähren
Im Bewusstsein, dass Sinn und Ziel einer Sangha die Verwirklichung von Verstehen und Mitgefühl sind, sind wir entschlossen, die buddhistische Gemeinschaft weder zum Zwecke persönlichen Vorteils oder Gewinns zu benutzen noch sie in ein politisches Instrument zu verwandeln. Als Mitglieder einer spirituellen Gemeinschaft sollten wir jedoch einen klaren Standpunkt gegen Unterdrückung und Unrecht einnehmen. Wir sollten darum bemüht sein, entsprechende Zustände zu verändern, ohne in einem Konflikt Partei zu ergreifen. Wir sind entschlossen, uns darin zu üben, mit dem Verständnis von Intersein zu schauen und uns selbst und andere als Zellen in einem Sanghakörper zu sehen. Als wahre Zelle im Sanghakörper bringen wir Achtsamkeit, Konzentration und Einsicht hervor, um uns selbst und die ganze Gemeinschaft zu nähren, und sind zugleich auch eine Zelle im Buddhakörper. Wir werden aktiv an der Verwriklichung von Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit mitwirken, als ein Fluss fließen und uns darin üben, die drei wahren Kräfte – Liebe, Verstehen und das Loslassen von Anhaftungen – zu entwickeln, um kollektives Erwachen zu verwirklichen.
Die elfte Übung der Achtsamkeit: Rechter Lebenserwerb
Im Bewusstsein, dass unserer Umwelt und Gesellschaft Gewalt und großes Unrecht angetan worden sind, sind wir entschlossen, mit unserem Lebenserwerb den Menschen und der Natur nicht zu schaden. Wir werden unser Möglichstes tun, um einen Lebenserwerb zu wählen, der zum Wohlergehen aller Wesen auf der Erde beiträgt und hilft, unser Ideal von Verstehen und Mitgefühl zu verwirklichen. Wir sind uns der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Verhältnisse in der Welt sowie unserer Wechselwirkung mit dem Ökosystem bewusst und sind entschlossen, uns als Konsumentinnen und Konsumenten und Bürgerinnen und Bürger verantwortungsbewusst zu verhalten. Wir werden in keine Unternehmen investieren oder solche unterstützen, die zum Raubbau an den natürlichen Ressourcen beitragen, der Erde schaden und andere ihrer Lebensmöglichkeiten berauben.
Die zwölfte Übung der Achtsamkeit: Ehrfurcht vor dem Leben
Im Bewusstsein, dass Kriege und Konflikte großes Leid verursachen, sind wir entschlossen, in unserem täglichem Leben Gewaltfreiheit, Mitgefühl und die Einsicht des Interseins zu entwickeln sowie Friedensbildung, achtsame Meditation und Versöhnung in Familien, Gemeinschaften, ethnischen und religiösen Gruppen, Nationen und in der Welt zu fördern. Wir sind entschlossen, nicht zu töten und es nicht zuzulassen, dass andere töten. Wir werden keine Art des Tötens unterstützen, weder in der Welt noch in unserem Denken oder in unserer Lebensweise. Zusammen mit unserer Sangha wollen wir uns in tiefem Schauen üben, um bessere Wege zum Schutz des Lebens und zur Verhinderung von Kriegen zu finden und um Frieden zu schaffen.
Die dreizehnte Übung der Achtsamkeit: Großzügigkeit
Im Bewusstsein des Leidens, das durch Ausbeutung, soziale Ungerechtigkeit, Diebstahl und Unterdrückung entsteht, sind wir entschlossen, in unserem Denken, Reden und Handeln Großzügigkeit zu entwickeln. Wir wollen uns in liebender Güte üben, indem wir für das Glück von Menschen, Tieren, Pflanzen und Mineralien arbeiten und unsere Zeit, Energie und materiellen Güter mit denen teilen, die sie brauchen. Wir sind entschlossen, nicht zu stehlen und nichts zu besitzen, was anderen zusteht. Wir wollen das Eigentum anderer achten, doch werden wir versuchen, andere davon abzuhalten, sich an menschlichem Leiden und am Leiden anderer Wesen zu bereichern.
Die vierzehnte Übung der Achtsamkeit: Wahre Liebe
Im Bewusstsein, dass sexuelles Begehren keine Liebe ist und dass sexuelle Beziehungen, die auf Begierde beruhen, das Gefühl der Einsamkeit nicht auflösen können, sondern nur noch mehr Leiden, Frustration und Getrenntsein hervorrufen, sind wir entschlossen, eine sexuelle Beziehung nur auf der Basis von gegenseitigem Verstehen, Liebe und der Bereitschaft zu einer langfristigen Bindung einzugehen, von der unsere Familie und Freunde wissen. Im Wissen, dass Körper und Geist eins sind, sind wir entschlossen, angemessene Wege zu erlernen, um gut mit unserer sexuellen Energie umzugehen und liebende Güte, Mitgefühl, Freude und Unvoreingenommenheit für unser eigenes Glück und das Glück anderer zu entwickeln. Wir müssen uns des zukünftigen Leidens bewusst sein, das durch sexuelle Beziehungen entstehen kann. Wir wissen, dass wir, um unser Glück und das anderer zu bewahren, unsere eigenen Rechte und Bindungen und die anderer respektieren müssen. Wir wollen alles tun, was in unserer Macht steht, um Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen und um zu verhindern, dass Paare und Familien durch sexuelles Fehlverhalten auseinanderbrechen. Unseren Körper werden wir mit Mitgefühl und Respekt behandeln. Wir sind entschlossen, die vier Arten der Nahrung tief zu betrachten und Wege zu erlernen, unsere Lebensenergien (die sexuelle Energie, den Atem, den Geist) zu bewahren und so zu lenken, dass sie der Verwirklichung unseres Bodhisattva‑Ideals dienen. Wir wollen uns der Verantwortung, neues Leben in die Welt zu bringen, vollkommen bewusst sein und regelmäßig über dessen zukünftige Lebensbedingungen meditieren.